Es gibt Geschichten, die einen sofort einfangen. Nicht mit lauten Effekten oder reißerischen Twists auf den ersten Seiten, sondern mit etwas viel Wertvollerem: mit Feingefühl, Atmosphäre und einem Ton, der sich so natürlich liest, als würde man einem guten Freund zuhören. Genau so ein Buch ist dieser Roman und Andy, die komplizierte aber doch sympathische Protagonistin, ist der perfekte Einstiegspunkt in diese düstere, geheimnisvolle Welt.
Der Einstieg gelingt bemerkenswert leicht. Ohne Umwege, ohne langatmige Erklärungen oder übermäßige Exposition wird man hineingezogen in die Welt der Schatten, Götter, Geister und düsteren Geheimnisse. Schon auf den ersten Seiten entsteht ein feines Netz aus Stimmungen und Andeutungen, das neugierig macht, aber nie überfordert. Der Text wirkt in keiner Sekunde bemüht, sondern fließt mit einer fast mühelosen Eleganz dahin. Es ist diese besondere Art von Erzählen, die man kaum merkt und die gerade deshalb so viel Können verrät.
Der Schreibstil ist atmosphärisch-bildhaft, poetisch, aber nie kitschig. Klar, aber mit Tiefe. Feinfühlig, ohne in Sentimentalität abzudriften. Die Autorin schafft es, mit wenigen Worten ganze Welten entstehen zu lassen, von düsteren Geheimgesellschaften über die Magie alter Götter bis hin zur beklemmenden Dunkelheit der Unterwelt. Besonders beeindruckend ist, wie viel Atmosphäre allein durch die Sprache entsteht, sei es in einem stillen Moment zwischen Andy und anderen Charakteren, in der Bedrohung durch geisterhafte Erscheinungen oder in der unheilvollen Stille vor dem nächsten Schlag der Gegenseite.
Die Charaktere sind durchweg vielschichtig und überzeugend. Andy ist keine klassische Heldin, sondern eine Figur mit innerem Konflikt, Schmerz und Widersprüchen, genau das macht sie so greifbar. Die Suche nach ihrer Schwester Violet ist ein zentrales Thema des Romans, das emotional und psychologisch vielschichtig erzählt wird. Der männliche Love Interest Jae wirkt an manchen Stellen etwas konstruiert, persönlich hätte ich auf eine Liebesgeschichte in diesem Buch auch verzichten können, denn die eigentliche Stärke des Romans liegt ganz woanders. Trotzdem stört sie nicht gravierend, da sie dezent bleibt und nicht vom düsteren Kern der Handlung ablenkt.
Denn was diesen Roman wirklich auszeichnet, ist die finstere, faszinierende Mischung aus Horror, Fantasy und Mythologie. Die Autorin verwebt Elemente aus der ägyptischen und griechischen Götterwelt mit Okkultismus, einer geheimen Gesellschaft, dämonischen Ritualen, Monstern, Magie, Geistern und uralten Flüchen. Der Roman ist keine klassische Fantasy – er ist eine düstere Horror-Romanze mit mythologischem Tiefgang, voller Totenreiche, rätselhafter Artefakte und finsterer Kräfte, die weit über das Diesseits hinausreichen.
Besonders spannend fand ich die Themen, die hier angesprochen wurden, teils schockierend, teils faszinierend, vor allem weil erst im Laufe des Buches deutlich wird, wie tief und lang die Pläne der Antagonisten tatsächlich reichen. Wie viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt wurde, wie raffiniert sie das Netz aus Lügen und Schatten gesponnen haben, das entfaltet sich schrittweise und sorgt für einen steigenden Spannungsbogen bis zur packenden Auflösung.
Die Auflösung ist kraftvoll, stimmig und emotional, kein plakativer Schockmoment, sondern das Ergebnis einer klug konstruierten Handlung. Und trotzdem bleiben einige Fragen offen, aber auf genau die richtige Weise. Man spürt, dass hier noch etwas Größeres im Schatten lauert. Dass die Geschichte nicht endet, sondern nur pausiert. Und genau deshalb macht der Abschluss Lust auf Band 2.
Fazit: Ein düsterer, atmosphärischer Roman mit leichtem Einstieg, starkem Schreibstil und einer faszinierenden Mischung aus Horror, Mythologie und Magie. Andy ist eine überzeugende Hauptfigur in einem vielschichtigen, albtraumhaften Setting, das einen nicht mehr loslässt. Trotz kleiner Schwächen – etwa der etwas konstruiert wirkenden Liebesgeschichte – ist dies ein origineller, mutiger Roman, der seine ganz eigene Nische zwischen Fantasy, Horror und Mystery findet.
Unbedingt lesen – am besten nachts, wenn die Schatten lebendig werden.


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